Pauls Geschichte #5 – Weiterführende Diagnostik und psychosoziale Beratung

Als wir nach dem Termin, der uns die hoffnungslose Diagnose brachte, nach Hause kamen, war es Freitag am späten Nachmittag! Es schloss sich das schlimmste Wochenende meines Lebens an. Wir waren allein. Niemand war erreichbar bis Montag. Allein mit all unseren Sorgen, Ängsten und der Trauer. Ich trauerte, denn ich hatte bereits viel verloren. All unsere Träume von einer heilen Familie waren zerstört.

Mir war klar, wir brauchten Unterstützung und so rief ich Montag bei der Beratungsstelle an. Es ist eine Stelle die Familien begleitet die ein Kind mit Behinderung erwarten oder haben und bei frühem Kindesverlust. Ich sprach mit einer tollen Frau , die in den nächsten Wochen unsere engste Begleiterin werden sollte. Wir vereinbarten für den nächsten Tag einen persönlichen Termin. Wir besprachen die ganze Situation und sie gab uns einen Ausblick auf das was noch auf uns zukommen würde. Sie fragte mich ob ich Verbindung zu meinem Kind noch spüren würde. Was für eine Frage…. natürlich! Es ist mein Kind und ich wäre bereit gewesen alles für es zu tun. Sie riet uns diese Verbindung nicht abreißen zu lassen, denn das wäre das Beste das wir in dieser Situation für unseren Schatz tun könnten. Und wir ließen sie nicht abreißen. Trotz dieser furchtbaren Diagnose, wurde die Bindung und die Liebe zu diesem Kind von Tag zu Tag stärker.

Tags darauf war wieder ein Termin in der Praxis angesetzt. Es sollte besprochen werden wie es weitergeht. Es war so furchtbar! Der Termin fand wieder bei der Pränataldiagnostikerin statt. Sie begrüßte uns wieder mit diesen traurigen Augen. Mir wurde ganz anders…. Sie empfahl uns eine Fruchtwasserpunktion um herauszufinden ob eine Trisomie vorliegt. Die Untersuchung sollte kommende Woche sein. Wir willigten ein… was blieb uns auch übrig. Auch in diesem Termin sprach sie die Möglichkeit des Spätabbruchs an. In meinem Fall ( sie wandte sich bewusst nur an mich), sei es möglich.  Sie erklärte uns, das nun viele Entscheidungen zu treffen hätten. Zunächst die Entscheidung ob die Schwangerschaft fortgesetzt werden sollte oder nicht. Sie sagte aber auch, das viele Entscheidungen auf uns warten wenn wir die Schwangerschaft fortführen. Es ging dabei um Lebenserhaltende Maßnahmen. Ich habe während des gesamten Gespräches geweint und ich begann zu realisieren, was man von uns verlangte. Wir sollten über das Leben in meinem Bauch entscheiden. Es schnürte mir die Kehle zu, nahm mir die Luft zum Atmen. Mir wurde schlecht, aber ich nahm mich zusammen.

Der Termin der Fruchtwasseruntersuchung verlief relativ unspektakulär. Ich hoffte so sehr, das der neue Arzt, der auch eine Ultraschalluntersuchung machte, uns sagen würde, das alles nicht so schlimm sei. Vielleicht eine Beeinträchtigung, aber unser Kind könnte leben und ein glückliches Leben führen. Ich hoffte und wünschte es mir so sehr!!! Aber nein, die grausame Realität holte uns ein. Er bestätigte alles was seine Kollegin zuvor gesehen hatte. Ich weinte und weinte und weinte… irgendwann liefen die Tränen nur so ohne Schluchzen. Ich konnte es nicht mehr steuern. Immer an meiner Seite mein geliebter Mann, der mir so viel Kraft gab und mich stützte wenn ich drohte daran zu zerbrechen. Und das alles obwohl auch er verzweifelte an dieser Situation!

Nach der Untersuchung fuhren wir heim. Jetzt hieß es warten auf die Ergebnisse…

In der Woche darauf stand wieder ein Termin in dem Krankenhaus an in dem eine Woche zuvor die Fruchtwasserpunktion durchgeführt wurde.

Durch den Schnelltest der Fruchtwasserpunktion wussten wir mittlerweile, dass wir einen Jungen erwarten. Wir wussten sofort Paul soll er heißen.

Diesmal war ein Konzil für uns angesetzt. Neben den Gynäkologen, berieten uns ein führender Arzt im Bereich Spina Bifida  und eine Kinderchirurgin. Wir durften all unsere Fragen stellen, zu Pauls Erkrankung, zu den notwendigen OPs, zu den Heilungchancen und zur Lebenserwartung unseres kleinen Jungen. Auch dieser Termin verlief furchtbar!! Es war so niederschmetternd, so hoffnungslos… und es wurde immer schlimmer… Wir bekamen zunächst die genaue Diagnose mitgeteilt: OEIS -Komplex. Es kann sehr unterschiedlich von Mensch zu Mensch ausfallen. In Pauls Fall bedeutete es, ein offener Rücken, offene Bauchdecke und fehlende Harnblase.

Auf Paul würden unzählige Operationen zukommen um Rücken und Bauch zu schließen, eine künstliche Harnblase musste Erschaffen werden, wie es mit den Harnwegen und der Geschlechtsorgane aussah konnte uns niemand sagen. Die Erwartungen waren schlecht. Ich hörte hauptsächlich zu und weinte, während mein so starker Ehemann alle Fragen stellte die wir uns zuvor notiert hatten. Zum Schluss brachte ich doch noch eine Frage hervor:“Wie lange wird unser Baby leben und können wir ihn irgendwann mit nach Hause nehmen?“ Die Lebenserwartung sei gering, sollte er Geburt und anschließende OPs überleben. Er würde das Krankenhaus wohl nicht verlassen, denn die Zeit die er benötigte um die vielen komplizierten OPs zu verarbeiten übersteige die Lebenserwartung in jedem Fall. Auch die anderen Ärzte sprachen die Möglichkeit des Spätabbruches an. Ein Arzt sagte uns, es würde hier nicht darum gehen den Ehrgeiz der Chirurgen zu befriedigen.

Ich möchte an dieser Stelle jedoch betonen, dass uns niemals jemand beeinflusst oder unter Druck gesetzt hat. Wir bekamen einfach nur alle Möglichkeiten genannt.

Ich wollte die Schwangerschaft nicht abbrechen. Das wollte ich niemals, das konnte ich nicht. Dieses Kind, unser Paul, war so sehr gewollt und jetzt schon so unendlich geliebt. Ich könnte das nicht entscheiden… dachte ich….

Ich wollte die Schwangerschaft fortsetzen, jedoch keine OPs. Ich wollte den palliativen Weg mit Paul gehen. Wollte ihn austragen, gebären um ihn dann zu verabschieden. Diese Vorstellung sollte mir jedoch schnell genommen werden. Die Ärzte erklärten, das sie operieren müssten. Sie könnten den offenen Rücken und Bauch nicht unversorgt lassen, denn dann würde mein geliebtes Kind in Folge von Infektionen sterben.

In diesem Moment dachte ich, ich muss sterben. Ich dachte wirklich, das ich das nicht überleben kann, da es mich innerlich zerriss. Niemals vorher und nachher spürte ich einen größeren Schmerz!!

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