Pauls Geschichte #8.1 – Paul wird geboren und wir müssen Abschied nehmen

Dies ist womöglich der schwierigste Beitrag für mich. So schmerzlich und zugleich so voller Liebe sind die Erinnerungen an diese Tage im Krankenhaus.

Ich habe schon einmal einen Geburtsbericht über Paul geschrieben. Über diesen Link gelangt ihr zu dem Beitrag

http://www.briefe-an-paul.de/2016/10/08/pauls-geburt-ein-stiller-geburtsbericht-meine-gedanken-und-eindruecke/

Ich möchte jetzt über meine Gefühle und Gedanken während dieser Zeit schreiben.

Wir mussten einen Tag vor der stationären Aufnahme zur Vorbereitung in die Klinik. Aufklärungsgespräche, Narkosebogen unterschreiben, Anästhesiegespräch und das schlimmste: Ich musste unterschreiben, dass ich die Schwangerschaft abbrechen möchte. Es war das letzte was ich wollte, was wir wollten , und doch musste ich es tun. Ich wusste für Paul musste ich mich aufgeben. Und das tat ich. Als ich das für mich vorgefertigte Schreiben durchlas, hätte ich beinah alles hingeschmissen und wäre am liebsten weg gerannt. Dort stand, dass sich die Patientin auf Grund der schweren Missbildungen, nicht in der Lage fühlt die Schwanger fortzusetzen und das mit schweren psychischen Folgen zu rechnen sei, wenn ich es doch täte. Ich hätte beinah laut los gelacht. Was dachte, wer auch immer sich dabei? Als ob ich nach der Geburt glücklich aus diesem Krankenhaus spazieren würde, als wäre nichts gewesen und ich mein Leben wie zuvor weiter führen könnte. Ich wusste, in diesem Moment wo ich mein geliebtes Kind gehen lassen muss, wird etwas in mir mit ihm sterben. Und das tat es in dem Moment in dem ich meine Unterschrift unter dieses Schreiben setzte.

Neben mir stand eine Ärztin, die Ärztin die uns auf Station die nächsten Tage betreuen würde. Sie hielt einen kleinen Becher mit einer Tablette drin, in der Hand. Ich wusste ganz genau was das war….. man sagte es mir im Vorfeld. Es war ein Medikament das zur Öffnung des Muttermundes helfen sollte. Mir lieg es ständig eiskalt den Rücken runter… ich will das alles nicht, ich zerbreche daran…. hämmerten die Gedanken in meinem Kopf. Und doch nahm ich wie ferngesteuert den Kleinen Becher in die Hand und nahm das Medikament.

Mir fehlen die Worte um zu beschreiben, was in mir Vorging, wie schlecht es mir ging! Wir verließen die Station und vor den Aufzügen blieb ich stehen. Ich blickte zu meinem Mann und ich brach zusammen. Es waren so viele Menschen um uns und ich weinte und weinte und weinte…. Wie konnte das alles nur sein? Wann würde ich denn endlich aufwachen?? Mein Mann hielt mich fest, bewahrte mich vor dem Zusammenbruch. Wäre er nicht da gewesen und hätte mir zur Seite gestanden, ich wäre heute nicht mehr. Er war so stark, obwohl er doch auch völlig verzweifelt war über die gesamte Situation.

Michael wurde übrigens am nächsten Tag mit mir stationär aufgenommen. Wir erhielten ein Zimmer ganz für uns. Er wich mir in den nächsten Tagen nicht von der Seite und erfüllte mir jeden Wunsch. Ich bin so dankbar, das er mich nicht allein gelassen hat!!!!

Zurück auf den Krankenhausflur:

Es dauerte bis ich mich beruhigt hatte. Wir mussten noch einmal zu der Praxis in diesem KH. Die Ärztin die die Diagnose bei Paul gestellt hatte, arbeitet auch dort. Die erste Arzthelferin schickte uns in den Wartebereich. Ich war so taub vor lauter Trauer, dass ich die ganzen Schwangeren um mich herum nicht wahr nahm! Das war aber der Grund warum eine andere Arzthelferin uns abholte und in einen kleinen Raum brachte in dem wir allein waren. Irgendwann wurden wir auf gerufen. Die Ärztin fragte uns ob wir noch mal einen Ultraschall möchten. Ich wusste sofort, das wollte ich. Paul noch einmal sehen!!! Diese wundervolle Ärztin wusste und spürte scheinbar wie wichtig dieser Moment war. Sie nahm sich so unglaublich viel Zeit und machte uns die schönsten Bilder überhaupt. Eines davon steht als Erinnerung eingerahmt in unserem Wohnzimmer! Wir sind ihr so dankbar für die Bilder und für diesen wunderschönen Moment in dieser grausamen Situation. Ich blicke auf den Bildschirm, konnte meinen Blick nicht von meinem geliebten Kind abwenden. Michael war es schließlich, der das Zeichen gab den Schall zu beenden. Ich hätte es nicht gekonnt. Die Ärztin gab uns die Ultraschallbilder. Mir ist es noch mal wichtig  deutlich zumachen, das dieser Ultraschall nicht mehr einer Untersuchung galt. Die Ärztin verschaffte uns somit greifbare Erinnerungen an Paul. Wie kostbar dies für uns heute noch ist!!!

Wir fuhren im Anschluss nach Hause. Ich war so betäubt von dieser ganzen Situation. Nein, nicht von dieser Situation, vor Schmerzen!!! Kein körperlicher Schmerz hätte den Schmerz in meinem Herzen übertreffen können.

Der nächste Morgen ist in meiner Erinnerung sehr verschwommen. Als wäre ich in Watte gepackt. Ich funktionierte, machte mich fertig und wir fuhren los. Während der fahrt sprachen Michael und ich kaum miteinander. Ich glaube jeder war in seinen Gedanken gefangen.

Ich meldete mich an und wir gingen auf die Station. Vom Vortag wussten wir wo wir hin mussten. Vor der Stationstür blieb ich stehen. Meine Beine wollten nicht weiter. Als ich Michael ansah brach ich in Tränen aus. Um uns herum liefen Patienten, das Krankenhauspersonal und wer auch immer. Mir war es egal. Ich weinte und weinte und weinte. Irgendwann konnten wir weiter gehen. Ich bekam mein Zimmer und sogar noch Frühstück. Mir war natürlich nicht nach essen, jedoch sagte der Oberarzt ich müsse bei Kräften bleiben. Der Oberarzt schilderte mir noch einmal kurz den Ablauf. Gleich sollte ich das erste mal das wehenauslösende Medikament bekommen, danach alle 6 Stunden weiderholen, bis die Geburt in Gange war. Er erklärte mir ich könne die ganze Zeit in meinem Zimmer bleiben, müsste nur in den Kreißsaal, wenn ich eine PDA bräuchte. Ich sagte ihm das ich auf jeden Fall in den Kreißsaal möchte. Er wirkte erstaunt und auch ein wenig irritiert und hakte nach. Ich brach in Tränen aus. Und unter Tränen erklärte ich, das ich hier sei um unseren Sohn zur Welt zur bringen und ich das da tun möchte wo üblicherweise Kinder geboren werden. Er sagte sie werden sich nach meinem Wunsch richten. Kurz darauf bekam ich das erste mal das Gel angelegt, das die Wehen bringen sollte.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.