Pauls Geschichte #8.2 – Paul wird geboren und wir müssen Abschied nehmen

Dienstags wurden wir stationär aufgenommen und ich bekam das erste mal das Medikament. Die Zeit bis Freitag Nachmittag ist schnell zusammengefasst, denn es passierte nichts.

Ich bekam keine Wehen und von dem Einleiten einer Geburt war ich weit entfernt. Dies war für mich eine harte Probe und ließ mich so sehr hadern mit dieser Entscheidung. Sollte dies ein Zeichen sein, das ich alles falsch mache? Das vielleicht doch alles nicht so schlimm wäre? Wir wurden gut betreut durch die Klinikseelsorge. Die nette Dame kam zwei mal am Tag nach uns schauen und sie sprach auch offen an, was ich nicht mal wagte zu denken. Sie sagte, vielleicht wollte ich nicht loslassen. Vielleicht??? Nein, ich wollte nicht!!! Ich hatte das alles niemals gewollt und verstand nicht warum ausgerechnet wir ?? Warum unser Paul?? Wir waren so voller Liebe für dieses Kind und jetzt beende ich die Schwangerschaft vorzeitig bei einer absolut infausten Diagnose. Nein, das wollte ich nicht. ich wollte eines: Rennen… wegrennen…. so weit und so lange bis dieser Alptraum ein Ende hätte. Ich hatte eines bisher verstanden. Ich hatte verstanden was es bedeutet für jemand anderen sein Leben her zu geben. Hätte es was geändert, hätte er Leben können, gesund leben können ich wäre für meine Kind gestorben. Ich redete Paul im inneren gut zu. Sagte ihm er dürfe kommen, wir würden ihn empfangen mit all unserer Liebe, als Mitglied unserer Familie. Das wir ihn nie vergessen würden und ein Andenken an ihn schaffen. Und trotzdem es tat sich nichts. Mir ging es von Tag zu Tag schlechter.

Trotz allenthalben wir auch schöne Erinnerung an diese Zeit! Das hört sich schräg und makaber an, ich weiß…. aber es war für uns als Paar die größte Probe und eine intensive Zeit. Wir sprachen viel miteinander, lenkten uns ab ( wir versuchten es zumindest) und beobachteten viel des Krankenhausalltags. Es gab wirklich witzige Szenen. Zum Beispiel die Dame, die das Essen brachte, war mehr als besorgt um Michael. Jeden Tag brachte sie ihm essen. Allerdings war das für Michael nicht genießbar und er zog es vor sich anderweitig zu versorgen. Das erklärten wir ihr, aber jeden Tag stand sie mit einem Tablett für ihn da. Wir mussten wirklich schmunzeln. Aber es war auch so nett!! Wirklich!! Das gesamte Personal der Station war so lieb und besorgt um uns. Das ist uns in guter Erinnerung geblieben.

Oder die Reinigungsdame die sich während der Visite in unserem Badezimmer vor den Ärzten versteckte 😉

Freitags wurde dann die Medikation umgestellt. Es blieb Vormittags noch alles ruhig. Nach dem Mittagessen hatte ich furchtbar große Lust auf Kuchen. Michael ging los und brachte mir ein richtiges dickes Teilchen, eine Art Dampfnudel. Ich aß sie mit einem Genuss, es hat mir einfach so gut geschmeckt. Ich hatte kaum den letzten Bissen unten, als die Wehen einsetzten. Sie kamen Periodenartig und wurden innerhalb kürzester Zeit stärker. Mein erster Gedanke war, die Anästhesie… jetzt wo ich so ein dickes Teilchen im Bauch hatte und vermutlich doch später noch eine Vollnarkose erhalten sollte…. Wir kamen sofort in den Kreißsaal. Dort angekommen stellten sich zwei supernette Hebammen vor, ebenso wie die Assistenzärztin im Kreißsaal und die Oberärztin. Sie sagten zu mir sie würden mich von den täglichen Besprechungen kennen. Sie hätten alle auf meine Ankunft gewartet. Ich wusste nicht so recht was ich davon halten sollte. Es war mir aber auch sehr schnell wieder egal, denn die Wehen nahmen immer weiter zu, bis ich nur noch Schmerz fühlte. Schmerzmittel hatte ich bis dahin verweigert und auch zu diesem Zeitpunkt wollte ich nichts. Zu Groß war meine Angst irgendetwas zu verpassen, weil ich vielleicht durch Schmerzmittel nicht mehr Herrin meiner Sinne war. Das diese Denkweise nicht wirklich realistisch war und meine Angst eigentlich unbegründet, verstand ich erst später. So grausam wie es ist, aber bei einem Abbruch muss keine Rücksicht mehr auf das Kind genommen werden und somit kann die Schmerzmedikation anders gehandhabt werden. Ich wollte aber alles bewusst miterleben, wollte Paul empfangen und ihn in den Arm nehmen. Ihn halten, ihn begrüßen und ihn verabschieden.

Es dauerte nicht lange, da erreichten die Wehen ihren Höhepunkt und ich schickte Michael, der die ganze Zeit an meiner Seite war nach der Hebamme. Sie legte mir noch einen Buscopantropf an und ging wieder. Die Wehen wurden immer schlimmer und von der Schmerzmedikation nahm ich nichts wahr. Die Wehen nahmen mir die Luft zum atmen und wollten scheinbar nicht mehr enden. Nach kurzer Zeit sprang die Fruchtblase. Michael rief die Hebamme. Diesmal blieb sie. Es war übrigens total voll im Kreißsaal und nur zwei Hebammen im Dienst. Als sie aber bei uns war spürten wir von der Hektik nichts mehr. Mit aller Ruhe, war sie jetzt bei uns und unterstützte mich. Es dauerte nicht lange, da kam Paul. Ohne pressen oder irgendetwas. Er kam einfach so…. mit 180 gamm und 19 cm. Er wurde in ein Handtuch gewickelt und mir sofort gegeben. In diesem Moment brach wieder einmal alles aus mir heraus. Ich weinte und weinte und hielt Paul ganz fest. Er war bereits gestorben. Es gab keinerlei Lebenszeichen. Michael natürlich neben mir, aber ich kann gar nicht wiedergeben wie es für ihn war. Ich war ganz bei Paul und meinem Schmerz.

Nachdem ich keine Tränen mehr hatte, geschah etwas wunderschönes. Ich war einen Moment lang glücklich. Ich war glücklich mein Kind im Arm zu halten. Ich war stolz auf diesen kleinen Kämpfer der für mich so unglaublich perfekt aussah und ich war stolz auf mich. All diese Gefühle überfluteten mich und ließen mich einen Moment vergessen. All der Schmerz, er war nicht präsent in diesem Moment! Es gab nur uns… Michael, Paul und mich.

Mir wurde angekündigt, das ich unmittelbar nach der Geburt in den OP müsste für eine Ausschabung. Dies habe auch keine Aufschub, da die Blutungen unter Umständen lebensgefährlich sein könnten. Ich war ziemlich traurig darüber, denn so würde ich das wiegen, messen und anziehen von Paul verpassen. Michael und ich hatten zuvor besprochen, das er das mit übernehmen würde. Dann passiertes folgendes: Alle OPs waren voll und ich hatte nicht so starke Blutungen. Somit wurde entschieden , dass meine OP noch warten sollte. Sonst hätte sie notfallmässig mit einem Team der Intensivstation statt finden müssen. So konnte ich doch noch alles miterleben… auch wenn es vom Bett aus war. Das schönste war jedoch die wunderbare Betreuung der Hebamme die zum Nachtdienst kam. Sie hat so viel gutes für uns und für Paul getan. Der ganze Umgang mit Paul war so würdevoll. Sie machte auf eine wunderschöne Karte vom Krankenhaus Fuß- und Handabdrücke von Paul. Wir hatten auch eine eigene Karte mitgebracht und baten sie auch dort noch einmal Fußabdrücke drauf zu machen. Sie sagte, das sie das gerne macht, wandte sich dann an Paul und sagte zu ihm :“Je mehr Schritte du auf dieser Welt tust umso besser“. Diese Worte habe ich bis heute nicht vergessen. Sie haben mein Herz, unsere Herzen als Eltern so sehr berührt. Als alles fertig war und Paul ganz kuschelig in seinem kleinen Schlafsack war,machte sie noch Foos für uns, von Paul und mit Paul.

Diese Fotos sind unser wertvollster Besitz und uns absolut heilig. Es sind unsere Familienfotos. Denn genauso hat sie uns behandelt. Das alles sind kostbare Erinnerungen für uns und diese wunderbare Hebamme hat uns geholfen ein Stück Trauerarbeit bereits im Kreißsaal leisten zu können.

Nachdem alle  Fotos gemacht waren und ich mein Kind nur noch im Arm hielt und ihn küsste, kam die Ärztin und sagte das wir los könnten zum OP. Es hatte alles genau so sein sollen.

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