Wir hatten mal wieder einen Termin zur Vorsorge bei meiner Frauenärztin. Der Termin verlief wie immer. Dachte ich…. ich fand lediglich das der Ultraschall heute etwas kurz ausfiel. Zum Schluss bat sie uns zwei Tage später, am Freitag, noch einmal in die Praxis zu kommen.
Die Begründung war für uns logisch, einleuchtend und nicht besorgniserregend. Sie sagte sie wolle frühzeitig abklären, das keine Lippen-Kiefer-Gaunenspalte vorliegt, da diese in der Familie bereits aufgetreten ist. Kein Problem für uns…. natürlich nichts was wir uns für unser Kind wünschten, aber auch nichts was uns in Angst und Schrecken versetzte. Das Schlimme war, das wir uns zu dem Zeitpunkt noch auf einen weitere Ultraschall freuten. Wenn ich daran zurück denke, sehe ich Michael und mich bei uns aus der Tür gehen. Glücklich und fröhlich und nie, nie, niemals hätte ich vermutet das wir zwei Stunden später als gebrochene Menschen wieder heim kehren würden.
Wir kamen in der Praxis an, sie war nahezu leer. Wir sollten noch einmal kurz ins Wartezimmer. Dort steckte ich mir noch eine Broschüre von Weleda mit einer Probe für Bauchmassageöl ein… ich müsste ja auch bald anfangen meinen Bauch zu ölen, damit ich keine Streifen bekomme. Diese Broschüren liegen heute noch in der Praxis aus, ich habe sie nie wieder angerührt!
Als wir aufgerufen wurden begrüßte uns meine Ärztin und eine fremde Ärztin im Behandlungsraum. Uns wurde erklärt, das die Kollegin die Untersuchung macht, da sie auf sowas spezialisiert sei. Wie gesagt, wir waren Ahnungslos und hatten keine Ahnung was ein Pränataldiagnostiker eigentlich macht. Meine Ärztin lies uns dann mit ihrer Kollegin allein.
Der Ultraschall ging los… und da war es! Unser Baby!!! Ich erkannte sofort wie es lag, sah Kopf und die Hände. Ich war so verzückt von meinem Baby das ich fast vergessen hätte, das da noch eine Ärztin war. Sie schallte lange ohne etwas zu sagen. Ich war nach wie vor unbesorgt. Dann beließ sie den Schallkopf an einer Stelle und ihre Worte hallen mir bis heute in den Ohren. Die Worte die alles zum einstürzen brachten: „Dieses Kind hat zwei Besonderheiten.“ Sie sprach weiter, ich hörte ihre Worte, ich verstand und verstand doch nicht. Ich konnte nichts sagen und es dauerte Minuten bis die Tränen flossen. Ab da hörte ich nur noch wenig von dem was sie sagte. Ich wäre am liebsten von der Liege gesprungen und weg gerannt. Soweit weg bis ich diesen Alptraum abgehängt hätte.
Was sie uns sagte war, das unser Baby einen offenen Rücken (Spina Bifida) hat. Sie erklärte in Kurzform was das heißt. Sie sagte dieser Defekt sei für sich genommen schon sehr schwerwiegend, zudem käme eine nicht geschlossene Bauchdecke. In dieser Kombination sei der Zustand kaum mit dem Leben vereinbar. Die Diagnose sei infaust. Dieser medizinische Begriff, infaust, er machte mir Angst. So große Angst!! Ich wusste das heißt nichts gutes, obwohl ich die genaue Definition nicht kannte. Ich hörte die Stimme der Ärztin, wie sie uns sagte das Kind würde Zeit seines Lebens im Rollstuhl sitzen, inkontinent sein und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schwer geistig Beeinträchtigt. Dies sei auf Grund der Höhe des offenen Rückens zu erwarten, denn damit ginge auch immer ein Hydrocephalus einher. Je weiter sie sprach um so mehr übertönte etwas in meinem Kopf ihre Stimme. Es war wie in diesen Actionfilmen, wo jemand von der Druckwelle einer Bombe weggeschleudert wird, irgendwie noch einmal auf die Beine kommt und dann da nur noch dieser Piepston ist!!! So fühlte ich mich! In unserem Leben, mittendrin wurden wir von der Bombe des Schicksals durch die Luft geschleudert. Der Aufprall war so enorm und die Druckwelle so stark das ich dachte ich sterbe!! Und ich meine das ernst. Ich spürte Todesangst!! Ich wusste nicht wie es weiter gehen sollte, wie ich überleben sollte…. ?? Diese Druckwelle, dieser Piepston, drohten mich zu vernichten!!
In diesem Gespräch erwähnte sie auch schon die Möglichkeit eines Spätabbruches. Ich wollte das alles nicht hören !!! Es machte mich wütend und zugleich nahm das Piepsen in meinen Ohren schon wieder zu! Ich und wir sagten immer, dieses Kind darf zu uns kommen wie der liebe Gott es uns geben will!! Aber hey…ich dachte dabei doch nicht an eine Erkrankung die nicht mit dem Leben zu vereinbaren sein sollte…?? Nein, nein… ich dachte dabei an Krankheit, Beeinträchtigungen, an ein Leben das daran angepasst werden müsse, aber doch nicht daran!! Trotzdem ein Spätabbruch, das würde ich niemals über mich bringen. Ich fragte mich noch, ob die Ärztin glaube sie verschaffe mir damit Erleichterung?? Nein, nein… das war keine Option!! Die Medizin war doch soweit!! Jetzt bräuchten wir sie… ich könnte all diese Gedanken jedoch immer nur kurz anreißen. Sobald ich versuchte weiter zu denken, kam die Druckwelle und das Piepsen!!
Sie sagte uns wie leid ihr das tut und gab uns die Kontaktdaten einer Beratungsstelle.
Ich werde niemals ihren Gesichtsausdruck vergessen und ihren Blick, der uns aufrichtig sagte, das auch sie unendlich traurig war.